Montag, 1. Dezember 2025
Rente

In der öffentlichen Debatte
werden zurzeit die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung oft als „dramatisch“, „nicht zukunftsfähig“ oder „defizitär“ dargestellt.
Diese Diagnose wirkt jedoch deutlich düsterer, als es die tatsächliche Lage rechtfertigt. Der Grund: Ein zentraler Teil der finanziellen Realität des Rentensystems wird in offiziellen Berechnungen und politischen Aussagen systematisch ausgeblendet.
Wer ehrlich über die Zukunft der Rente sprechen will, muss drei Faktoren berücksichtigen, die untrennbar zur Finanzierung gehören – in der Praxis aber häufig unsichtbar bleiben:

1. versicherungsfremde Leistungen
Die Rentenkasse zahlt für Aufgaben, die nicht ihre Aufgabe sind. Die Rentenversicherung finanziert jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge an Leistungen, die nichts mit den eigenen Beitragsansprüchen der Versicherten zu tun haben.
Dazu gehören u. a.:
   •   Mütterrente
   •   Rente wegen politischer Verfolgung
   •   Renten für Spätaussiedler:innen
   •   Leistungen aus Zeiten der Wiedervereinigung
   •   Ausbildungs- und Ersatzzeiten

Das sind staatspolitisch sinnvolle Entscheidungen – aber sie müssten aus Steuermitteln bezahlt werden, nicht aus Beiträgen.
Weil der Staat diese Kosten nur teilweise ausgleicht, sieht die Rentenkasse künstlich belastet aus. Die angeblich schlechte Finanzlage ist also politisch hergestellt und kein Naturgesetz.

2. Der Staat nimmt über Rentenbesteuerung Milliarden ein
Seit der schrittweisen Einführung der nachgelagerten Besteuerung fließen immer mehr Steuereinnahmen in den Bundeshaushalt – aus den Renten selbst.
Das System funktioniert also nicht nur so, dass Rentner:innen ausgezahlt bekommen – der Staat kassiert über die Einkommensteuer wieder einen wachsenden Anteil zurück.
Diese staatlichen Einnahmen tauchen in der Debatte um die Rentenfinanzen fast nie auf. Dadurch entsteht der Eindruck eines einseitigen Transfers („die Erwerbstätigen zahlen für die Rentner“), obwohl das System zweiseitig funktioniert:
Beitrag → Rente → Besteuerung → Staatseinnahme.

3. Die Obergrenze schützt Spitzenverdiener:innen
Die BBG bestimmt, bis zu welchem Einkommen Beiträge zur Sozialversicherung erhoben werden. Alles oberhalb dieser Grenze ist beitragsfrei. Das bedeutet:
   •   Eine Führungskraft mit 200.000 €/Jahr zahlt nur auf rund 90.000 € (je nach Jahr) Sozialbeiträge.
   •   Eine medizinische Fachkraft mit 40.000 €/Jahr zahlt auf jeden Euro Sozialbeiträge.
Die BBG erzeugt damit eine regressive Finanzierung, also eine Entlastung hoher Einkommen und eine Vollbelastung mittlerer und niedriger Einkommen.
Für die Rentenversicherung bedeutet das:
Milliarden potenzieller Beitragseinnahmen werden politisch begrenzt.
Auch dieser Effekt wird in offiziellen Projektionen meist nicht transparent berücksichtigt.
Das Ergebnis: Ein verzerrtes Bild der Rentenfinanzen.
Solange diese drei Faktoren in Berechnungen, Prognosen und politischen Debatten nicht einbezogen werden, entsteht ein strukturell verzerrtes Bild:
   •   Die Rentenversicherung wirkt schlechter finanziert, als sie tatsächlich ist.
   •   Das Narrativ der angeblich „unbezahlbaren“ oder „umgehend reformbedürftigen“ Rente wird künstlich verstärkt.
   •   Politische Entscheidungen, nicht demografische Faktoren allein, prägen die Finanzlage maßgeblich.

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