Sonntag, 9. November 2025
Gomorrha und Kindheit

Geboren, im Juli 1943 in Hamburg – kurz vor den Bombennächten der Operation Gomorrha.
Die Alliierten begannen Ende Juli 1943, Hamburg mit einer bis dahin beispiellosen Welle von Bombenangriffen zu überziehen. Ganze Stadtteile wurden dem Erdboden gleichgemacht, mehr als 30.000 Menschen verloren in nur wenigen Tagen ihr Leben, Hunderttausende wurden obdachlos.
Der Himmel über Hamburg brannte tagelang, und viele Überlebende sprachen später vom „Feuersturm“, der alles verschlang, was brennbar war.
Mein Vater, der bis zu seinem Wehrmachtseinzug bei seinen Eltern auf St. Pauli wohnte, war zu dieser Zeit an der Front in Frankreich. Meine Mutter stammte aus Kröpelin in Mecklenburg. Vor und nach meiner Geburt wohnte sie mit meinem älteren Bruder, Jahrgang 1938, in Hamburg-St. Pauli, in einem Viertel, das vom Krieg ebenso betroffen war wie die meisten Arbeiterquartiere rund um den Hafen. Dass unser Wohnhaus von größeren Schäden verschont wurde, war pures Glück – ein Zufall im Chaos des Krieges.
Doch nach meiner Geburt blieb meiner Mutter keine Wahl. Hamburg war zerstört, Lebensmittel waren knapp, und täglich gab es neue Angriffe. Sie machte sich mit mir und meinen Bruder auf den Weg in ihre mecklenburgische Heimat - zurück zu ihrer Familie nach Kröpelin. Im Oktober 1944 erreichte sie dort die Nachricht, dass ihr Mann und Vater von mir und meinem Bruder in Frankreich, bei Rouen, gefallen war.
Als hätte das Schicksal nicht genug zugeschlagen, starb meine Mutter im Dezember 1945 an den Folgen von Typhus – einer Krankheit, die in den Jahren nach dem Krieg viele Menschen dahinraffte. Hunger, Kälte, zerstörte Wasserleitungen und mangelnde Hygiene bildeten den idealen Nährboden für Seuchen. Meine Mutter starb 1945 an Thypus.
Der Vormarsch der Sowjetarmee trug dazu bei, dass mein Bruder und ich von unseren Großeltern von Kröpelin nach Hamburg geholt wurden und uns aufnahmen. Wir wohnten jetzt auf St. Pauli – ein Viertel, das trotz aller Zerstörung nie seinen rauen Lebenswillen verlor. Zwischen Trümmern, improvisierten Hütten und Nachbarschaftshilfe wuchs dort eine neue Generation heran. Wer in St. Pauli überleben wollte, brauchte Zusammenhalt – und den gab es reichlich.
Offiziell standen mein Bruder und ich, unter der Aufsicht eines behördlichen Vormunds. Er kam regelmäßig vorbei, prüfte unsere Entwicklung und hätte das Recht gehabt, uns in ein Waisenhaus zu überführen. Erst als unsere Großeltern die offizielle Vormundschaft beantragten und zugesprochen bekamen, wich die ständige Unsicherheit.

Fazit
Durch die Fürsorge der Großeltern habe ich meiner Kindheit nichts vermisst. Obwohl diese frühen Nachkriegsjahre von Verlust meiner Eltern, Armut und Wiederaufbau, aber auch von Hoffnung geprägt waren. Aber sie lehrten uns auch Durchhaltevermögen, Bescheidenheit und Solidarität.
Für viele Kinder meiner Generation war die Nachkriegszeit ein Leben zwischen Trümmern – sie waren unser Spielplatz. Doch es war auch der Beginn eines neuen Deutschlands, das langsam lernte, mit seiner Vergangenheit umzugehen und den Wert von Frieden zu schätzen.

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