Donnerstag, 16. Oktober 2025
AfD 2

Wann kippt eine Gesellschaft? Wann wird aus dem Ausnahmezustand ein neuer Normalzustand?
Nicht, wenn Panzer rollen – sondern viel früher: wenn autoritäre Parolen zu gewöhnlichen Meinungen werden, wenn Gleichgültigkeit die Empörung ersetzt und wenn die Feinde der Demokratie als harmlose Stimmen im Meinungschor auftreten dürfen.
Das Gefährliche an der AfD ist nicht nur ihre Ideologie, sondern ihre strategische Normalisierung.
Je öfter ihre Vertreter*innen in Talkshows sitzen, je häufiger ihre Narrative in sozialen Medien zirkulieren, desto mehr verschwimmt die Grenze zwischen legitimer Kritik und antidemokratischer Agitation.
Die AfD versucht, den Diskurs nach rechts zu verschieben – Schritt für Schritt, Thema für Thema.
Wer dagegenhält, wird als linke Gesinnungspolizei diffamiert. Wer schweigt, lässt den Raum für die Demokratiegegner weiter wachsen.
Demokratie beginnt im Alltag: im Gespräch, im Widerspruch, im Mut, nicht mitzumachen.

Die schleichende Verschiebung
Was früher als rechtsextrem galt, wird heute oft als „konservativ“ verharmlost. Begriffe, die einst Empörung ausgelöst hätten, tauchen heute in den Überschriften großer Medien auf. „Asyltourismus“, „Genderwahn“, „Meinungsdiktatur“ – Schlagworte, die direkt aus dem Sprachgebrauch der extremen Rechten stammen, haben längst Eingang in den Alltag gefunden.
Diese Verschiebung geschieht nicht zufällig. Sie ist Teil einer gezielten Strategie: Durch ständige Wiederholung, bewusste Provokation und kalkulierte Opferinszenierung wird das Sagbare erweitert – und damit das Denkbare. Was gestern noch undenkbar war, wird heute diskutiert und morgen vielleicht akzeptiert.

Die Normalisierung des Autoritären
Ein entscheidender Faktor ist die mediale Logik. Talkshows, die vermeintlich „alle Seiten“ zu Wort kommen lassen wollen, tragen zur Normalisierung bei, wenn sie antidemokratische Positionen als gleichberechtigte Meinung behandeln.
So entsteht ein falsches Gleichgewicht („False Balance“): Die Verteidiger*innen der Demokratie und ihre Gegner werden auf dieselbe Ebene gestellt, als ginge es um legitime politische Alternativen statt um einen Angriff auf die Grundlagen der Demokratie selbst.
Hinzu kommt die Empörungsökonomie sozialer Medien. Polarisierung bringt Reichweite – und Reichweite bringt Geld. Wer laut schreit, provoziert Klicks; wer differenziert argumentiert, geht unter. Die AfD hat dieses Spiel perfektioniert: Jedes „Skandalzitat“ ist kalkuliert, jede Empörung einkalkuliert.

Die Wirkung in der Gesellschaft
Die Folge ist eine gefährliche Abstumpfung.
Wenn autoritäre Rhetorik alltäglich wird, verlieren viele das Gespür für ihre Gefährlichkeit. Sätze, die früher als Tabubruch galten, lösen heute nur noch müdes Schulterzucken aus. Die Grenze zwischen demokratischer Kritik und antidemokratischer Agitation verwischt – und mit ihr das Bewusstsein dafür, dass Worte Wirklichkeit schaffen.
In dieser Atmosphäre wird Gegenrede zur Zumutung erklärt. Wer klare Grenzen zieht, gilt schnell als „moralisch überheblich“ oder „woke“. Der Diskurs dreht sich nicht mehr um Inhalte, sondern um das Recht, das Unsagbare sagen zu dürfen.

Demokratische Wachsamkeit
Doch Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie lebt von klaren Grenzen, von Haltung und Widerspruch.
Sie verlangt, dass wir benennen, was antidemokratisch ist – auch wenn es unbequem ist. Wer in der Öffentlichkeit mitreden darf, ist keine Frage der Quote, sondern der Verfassung.
Die AfD will den Diskurs verschieben, bis das Autoritäre normal erscheint. Genau das dürfen wir nicht zulassen.
Denn Normalisierung ist kein Naturgesetz. Sie ist eine Entscheidung – durch jedes Medium, das ihr eine Bühne gibt, und durch jede Gesellschaft, die zu lange zusieht.

Was wir tun können
> Widersprechen, wenn autoritäre oder diskriminierende Aussagen als „Meinung“ verkauft werden.
> Medienkritisch bleiben: Nicht jede vermeintliche Debatte ist harmlos. Manche sind strategisch inszeniert, um Hass salonfähig zu machen.
> Demokratische Sprache verteidigen: Begriffe prägen Bewusstsein – wer sie aufgibt, überlässt anderen die Deutungshoheit.
> Solidarität zeigen mit denen, die angegriffen, diffamiert oder ausgegrenzt werden.
> Aufklären, statt aufgeben – denn Aufklärung ist die stärkste Waffe gegen Propaganda.
> Demokratie beginnt im Alltag: im Gespräch, im Widerspruch, im Mut, nicht mitzumachen.

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