Sonntag, 14. September 2025
Digitalisierung und Zukunft: Wer bleibt auf der Strecke?

Ein Fortschritt mit Schattenseiten
Behörden, Finanzinstitute und Unternehmen verlagern immer mehr Dienstleistungen ins Netz. „Effizienz“ und „Modernisierung“ sind die Schlagworte. Doch der Preis dafür ist hoch: Wer offline lebt oder nur begrenzt digital kompetent ist, wird abgehängt. Besonders ältere Menschen, die in einer analogen Welt aufgewachsen sind, geraten ins Hintertreffen.
Laut Studien hat rund ein Drittel der über 65-Jährigen in Deutschland keinen sicheren Umgang mit digitalen Verfahren. Für sie ist die digitale Zukunft kein Fortschritt, sondern ein Stolperstein.

Steuererklärung als Hürde
Viele – nicht nur ältere – Menschen hoffen auf die vielversprochene „automatisierte Steuererklärung“. Gerade Rentnerinnen und Rentner könnten davon profitieren, da die jährlich wiederkehrende Pflicht zur Steuererklärung oft zu einer kaum noch zu bewältigenden Herausforderung geworden ist.
Doch statt Entlastung bringt die Digitalisierung neue Hürden. Babyboomer und ältere Generationen ächzen unter immer komplizierteren Online-Verfahren. Auch der Finanzdienstleistungssektor verschärft die Lage: Beratung vor Ort und persönliche Ansprechpartner verschwinden, Filialen schließen. Wer Hilfe braucht, steht zu oft vor verschlossenen Türen.

Digitale Inklusion – mehr Schlagwort als Realität
Politik und Verwaltung gehen stillschweigend davon aus, dass im sozialen Umfeld älterer Menschen genügend Unterstützung vorhanden sei – Kinder, Enkel, Freunde würden schon einspringen. Diese Annahme ist bequem, aber gefährlich. Denn nicht alle haben Familie, nicht alle haben Hilfe, und nicht alle wollen ihre intimsten Angelegenheiten von Dritten erledigen lassen.
Das Ergebnis: Wer keine Unterstützung findet, bleibt schlicht auf der Strecke. Ein Sozialstaat, der auf Teilhabe zielt, verliert so genau die Menschen aus dem Blick, die er am dringendsten schützen sollte.

Wenn die Gesellschaft dich aus den Augen verliert
Die Botschaft, die viele Ältere empfangen, ist bitter: „Du bist alt – und in der digitalen Welt nur noch ein Hemmschuh.“
Die Folge: Rückzug, Resignation, Vertrauensverlust.
Das ist nicht nur respektlos, sondern auch gefährlich für die Demokratie. Wer sich ausgeschlossen fühlt, wendet sich eher ab – oder jenen zu, die mit simplen Parolen und Heile-Welt-Versprechen locken. Populistische Parteien wie die AfD profitieren direkt davon, dass ältere Menschen in der digitalen Transformation unsichtbar gemacht werden.

Damit Digitalisierung wirklich Fortschritt bedeutet, braucht es:
> Verbindliche analoge Alternativen bei Behördengängen und im Finanzsektor.
> Niedrigschwellige digitale Bildung für alle Generationen, z. B. über Volkshochschulen oder lokale Initiativen.
> Bürgernahe Anlaufstellen, die echte Beratung vor Ort anbieten – nicht nur Hotlines und Chatbots.

Fazit
Eine solidarische Demokratie darf niemanden zurücklassen – auch nicht im digitalen Wandel. Digitalisierung muss inklusiv gedacht werden. Denn nur, wenn alle teilhaben können, bleibt das Vertrauen in Staat und Gesellschaft bestehen.
Wer Teilhabe verhindert, schwächt unsere Demokratie – und stärkt die Falschen.

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