Behörden, Finanzinstitute, Krankenkassen und Unternehmen verlagern immer mehr Dienstleistungen ins Netz. Was unter dem Label „Effizienz“ oder „Modernisierung“ verkauft wird, ist zwar für die Zukunft unabwendbar, hat jedoch aktuell eine Kehrseite:
Wer, wie viele ältere Menschen offline lebt, oder nur begrenzt digital kompetent ist, wird abgehängt. Gerade Seniorinnen und Senioren, die in einer analogen Welt aufgewachsen sind, haben oft keinen natürlichen Zugang zu digitalen Verfahren. Statt Unterstützung und Verfahrenserleichterung erleben sie allzu häufig das Gegenteil – Bürokratiehürden, Frust und Mahnverfahren.
Digitale Spaltung statt Teilhabe
Die Digitalisierung sollte eigentlich den Zugang zu Dienstleistungen erleichtern. Doch in der Realität öffnet sich eine Kluft: Auf der einen Seite die Menschen, die selbstverständlich mit Apps, Online-Formularen und Zwei-Faktor-Authentifizierung umgehen. Auf der anderen Seite diejenigen, die unsicher sind, kein stabiles Internet haben oder schlicht nicht über die nötigen Endgeräte verfügen. Besonders betroffen sind ältere Menschen – aber auch Menschen mit Behinderung, geringer Bildung oder geringerem Einkommen.
Ein Beispiel: Beim Online-Banking setzen viele Banken inzwischen eine App mit „PushTAN“ voraus. Wer kein Smartphone besitzt, muss oft hohe Gebühren für Papier-TAN-Listen oder telefonische Überweisungen zahlen – oder kann bestimmte Vorgänge gar nicht mehr erledigen.
Wenn Effizienz zur Hürde wird
Viele digitale Angebote sind komplexer, als sie sein müssten. Wer schon einmal versucht hat, einen Antrag online bei einer Behörde zu stellen, weiß, wovon die Rede ist: kryptische Menüführungen, lange PDF-Formulare, komplizierte Login-Prozesse.
Ein anschauliches Beispiel ist ELSTER, das Online-Steuerportal. Für digital routinierte Menschen mag es eine Erleichterung sein. Für viele Ältere hingegen ist schon die Registrierung eine Zumutung: Zertifikatsdateien, Aktivierungs-IDs, mehrere Sicherheitsabfragen – wer hier scheitert, muss die Steuererklärung auf Papier nachreichen, obwohl dies offiziell kaum noch vorgesehen ist.
Auch im Gesundheitswesen zeigt sich die Hürde: Krankenkassen drängen ihre Versicherten zur Nutzung von Gesundheits-Apps. Rezepte, Krankmeldungen oder Bonusprogramme sollen nur noch digital verfügbar sein. Wer kein Smartphone besitzt oder die App nicht bedienen kann, bleibt außen vor.
Die stille Ausgrenzung
Die Tendenz zum „Digital Only“ hat eine gefährliche Nebenwirkung: Wer nicht online ist, wird schlicht ausgeschlossen. Briefpost, persönliche Vorsprachen oder einfache telefonische Wege verschwinden mehr und mehr. So entsteht eine stille Form der Ausgrenzung – Menschen werden nicht aktiv diskriminiert, aber sie verlieren faktisch den Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe.
Was es jetzt braucht
Digitalisierung ist notwendig und bringt viele Vorteile. Aber sie darf nicht auf Kosten derjenigen gehen, die noch nicht mithalten können. Notwendig sind:
> Analoge Alternativen: Papierformulare, erreichbare Service-Telefone, persönliche Beratung.
> Digitale Bildung: Niedrigschwellige Kurse und Unterstützungs-angebote für Seniorinnen und Senioren.
> Barrierefreiheit: Webseiten und Apps, die auch ohne Spezialwissen oder neueste Technik funktionieren.
> Verantwortung der Institutionen: Wer digitale Pflicht einführt, muss auch sicherstellen, dass niemand durch das Raster fällt.
Fazit
Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie kann ein Werkzeug für Teilhabe sein – oder ein Instrument der Ausgrenzung. Entscheidend ist, wie wir sie gestalten: als Einladung an alle oder als geschlossene Gesellschaft für die Digitalfitten.
Die eigentliche Frage lautet also nicht: Wie digital wollen wir sein? Sondern: Wie inklusiv wollen wir bleiben?
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