Quelle: Spiegel: Nr. 34 / 17.8.2024 von: Lothar Gorris und Tobias Rapp
Wie funktioniert Faschismus?
Moderner Faschismus sei, schreibt Jason Stanley (Professor für Philosophie an der Yale-Universität), ein Führerkult, der einer gedemütigten Nation die Wiedergeburt verspricht.
Gedemütigt, weil Einwanderer, Linke, Liberale, Minderheiten, Homosexuelle, Frauen und Medien, die Schulen und kulturellen Institutionen übernommen hätten.
Faschistische Regime, sagt Stanley, beginnen als soziale und politische Bewegungen und Parteien, und sie werden eher gewählt, als dass sie sich an die Macht putschen.
Stanley beschreibt zehn Merkmale des Faschismus.
Erstens:
Jede Nation hat ihre Mythen, ihre Verklärung einer schönen Vergangenheit. Die faschistische Version eines nationalen Mythos aber benötigt Größe und Macht.
Zweitens:
Faschistische Propaganda stellt den politischen Gegner als Bedrohung für die eigene Existenz und eigene Traditionen dar. »Sie« gegen »uns«. Wenn »sie« das Sagen haben, bedeute dies das Ende der Nation.
Drittens:
Der Führer legt fest, was wahr und was falsch ist. Wissenschaft und Wirklichkeit fordern seine Autorität heraus. Komplexe Perspektiven sind eine Bedrohung.
Viertens:
Der Faschismus lügt. Die Wahrheit ist das Zentrum der Demokratie. Die Lüge ist der Feind der Freiheit. Wer belogen wird, kann nicht frei wählen. Wer der Demokratie das Herz herausreißen will, muss die Menschen an die Lügen gewöhnen.
Fünftens:
Faschismus baut auf Hierarchien, und das sind die größten Lügen. Rassismus ist eine Lüge, keine Gruppe ist besser als die andere. Keine Religion, keine Ethnie, kein Geschlecht.
Sechstens:
Wer an die Hierarchien glaubt und an seine eigene Überlegenheit, kann leicht nervös werden und Angst bekommen. Faschismus erklärt seine Anhänger zu Opfern der Gleichheit. Deutsche Christen sind Opfer der Juden. Weiße Amerikaner Opfer der Gleichberechtigung der schwarzen Amerikaner. Männer, Opfer des Feminismus.
Siebtens:
Der Faschismus sorgt für Recht und Ordnung. Was Recht und Ordnung ist, bestimmt der Führer. Und er bestimmt auch, wer dagegen verstößt.
Achtens:
Der Faschismus hat Angst vor Sexualität. Faschisten schüren Angst vor Trans-Menschen, vor Homosexuellen, die nicht einfach nur ihr eigenes Leben führen, sondern das Leben der »Normalen« zerstören wollen und es auf ihre Kinder abgesehen haben.
Neuntens:
Der Faschismus hasst die Städte. Es sind Orte der Dekadenz, der Eliten, der Einwanderer, der Kriminalität.
Zehntens:
Der Faschismus glaubt, dass Arbeit frei macht. Minderheiten und Linke sind von Natur aus faul.
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