Warum Deutsche wieder rechts wählen – und was das mit uns zu tun hat
Deutschland hat erlebt, wohin Hass, Nationalismus und Führerkult führen. Und doch gewinnt die AfD Stimmen, obwohl ihre Funktionäre immer offener rassistische, autoritäre und antidemokratische Positionen vertreten.
Wie kann das sein – in einem Land, das sich „Nie wieder“ auf die Fahnen schreibt?
Geschichtsvergessenheit
Für viele ist der Nationalsozialismus nur noch ein Kapitel im Schulbuch. Der Bezug zur Erfahrung von Diktatur, Krieg und Vernichtung ist verloren gegangen.
Wenn Geschichte nicht mehr als Warnung, sondern nur als Pflichtstoff behandelt wird, verblasst das Bewusstsein dafür, wie zerbrechlich Demokratie ist.
Das Wissen um den Holocaust, um Hitlers Machtergreifung und die Zerstörung der Republik ist zwar dokumentiert, aber oft emotional nicht mehr verankert.
So kann der Satz „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ wieder gesellschaftsfähig werden.
Das Gefährlichste ist die Vergesslichkeit der Gesellschaft.
> Hannah Arendt, 1951
Wut, Angst, Enttäuschung
Viele AfD-Wähler fühlen sich abgehängt oder ignoriert.
Steigende Preise, Zukunftsängste, soziale Ungerechtigkeit – all das schafft Frust. Die AfD bietet einfache Antworten und klare Feindbilder: „die Ausländer, die Grünen, die EU, die Eliten“.
Das ist keine Politik, sondern emotionale Entlastung.
Wer Angst hat, will einfache Schuldige – nicht komplexe Lösungen.
Die Partei lebt davon, dass Menschen glauben, Demokratie sei etwas, das andere für sie erledigen.
Wo alle Schuld sind, ist keiner schuldig.
> Max Frisch, 1958
Autoritäre Sehnsucht
Manche sehnen sich nach „Ordnung und Führung“.
In Krisenzeiten wächst der Wunsch nach klaren Ansagen – auch wenn sie von oben kommen.
Demokratie wirkt dagegen anstrengend, laut, widersprüchlich.
Aber genau das ist ihre Stärke: Widerspruch statt Unterwerfung.
Wer „endlich wieder Durchgreifen“ will, öffnet der Willkür die Tür.
Das wusste schon Theodor W. Adorno, als er schrieb:
Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.
> Theodor W. Adorno, 1966
Protestwahl und Selbsttäuschung
Viele sagen: „Ich wähle AfD, um den anderen einen Denkzettel zu verpassen.“
Doch so fing es schon einmal an.
Auch in der Weimarer Republik glaubten viele, sie könnten die Nationalsozialisten „mal ausprobieren“.
Sie wollten es den Eliten zeigen – und zerstörten dabei die Demokratie, die sie eigentlich retten wollten.
Erst wenn wir verloren haben, begreifen wir, was wir hatten.
> Erich Kästner
Demokratieschwäche
Wenn demokratische Parteien ihre Versprechen nicht halten, entsteht Misstrauen.
Soziale Ungleichheit, abgehobene Politik, gebrochene Versprechen – all das schafft den Nährboden für Populisten.
Die AfD ist kein Fremdkörper in unserer Gesellschaft, sie ist ein Symptom unserer Versäumnisse.
Die Demokratie stirbt nicht an einem Putsch, sondern an Gleichgültigkeit.
Die größte Gefahr für die Demokratie ist nicht der Hass ihrer Feinde, sondern die Gleichgültigkeit ihrer Freunde.
Desinformation und digitale Echokammern
Über Telegram, YouTube oder TikTok verbreiten AfD-nahe Akteure gezielt Falschinformationen.
Sie schaffen alternative Realitäten, in denen demokratische Institutionen als „korrupt oder „gesteuert“ gelten.
Die Desinformation ersetzt Diskussion – und Empörung ersetzt Erkenntnis.
Laut einer Studie der Stiftung Neue Verantwortung (2023) glauben fast 40 % der AfD-Wähler regelmäßig Inhalte aus Desinformationskanälen in sozialen Medien.
Das ist keine Randerscheinung, sondern eine neue Form digitaler Propaganda.
Fazit
Heute wiederholt sich das Muster: Wut ersetzt Verantwortung. Wer Protest wählt, stärkt die, die das System abschaffen wollen.
Die AfD wird nicht gewählt, weil die Menschen Hitler vergessen haben – sondern weil sie nicht erkennen, dass dieselben Denkweisen zurückkehren.
Wenn Erinnerung keine Haltung bleibt, sondern bloß Geschichte wird, ist „Nie wieder“ nur noch eine Floskel. Demokratie lebt nicht von Symbolen, sondern von Bildung, sozialer Sicherheit und echter Beteiligung.
Das ist die Lehre, die wir neu lernen müssen – bevor es wieder zu spät ist.
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