Sonntag, 21. September 2025
Boomer

Süddeutsche Zeitung: 20./21. 09. 2025

Belastete Boomer
Die Überlegungen des Wirtschaftswissenschaftlers Marcel Fratzscher zu einem Boomer-Soli kann man als einen grundsätzlich legitimen Debattenbeitrag betrachten. Einer wissenschaftlich fundierten Analyse der Lasten, die die Generation der sogenannten Boomer im Vergleich zu jüngeren Generationen angeblich zu wenig getragen haben soll, dürften diese Vorschläge nicht standhalten.
Folgend drei Beispiele für Sonderlasten der sogenannten Boomer-Generation (z.B. Jahrgang 1960) jedenfalls des Teils, der nicht selbstständig beschäftigt war/ist.

1. Angestellte dieses Jahrgangs zahlen seit 1991 durchgehend den sogenannten Solidaritätszuschlag, um die dauerhaften Lasten aus der Wiedervereinigung mitzutragen.
Rhetorische Frage: Wie viel Soli zahlt ein junger Arbeitnehmer, der 2021 in das Erwerbsleben eingestiegen ist?

2. Nach Auffassung vieler Experten wurde die deutsche Wiedervereinigung ganz wesentlich über die gesetzliche Rentenversicherung finanziert.
Viele ostdeutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger bekamen und bekommen - sozial nachvollziehbar - seit 1991 gesetzliche Renten, ohne sich jemals mit eigenen Beiträgen am bekannten Umlagesystem beteiligt zu haben. Finanziert haben dies die damaligen Beitragszahler, also Angestellten und deren Arbeitgeber.
Auch andere Berufsgruppen haben sich daran beteiligt, allerdings nur über den jährlichen Bundeszuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung – wobei: Den Bundeszuschuss haben auch die Angestellten und deren Arbeitgeber ebenfalls getragen, nun in ihrer Rolle als Steuerzahler.

3. Viele männliche Angehörige der sogenannten Boomer-Generation wurden zur Bundeswehr eingezogen und haben dort 15 Monate (oder länger) gedient. Gefragt wurde damals nicht, ob es gegenüber der deutschen Gesellschaft sinnvoll ist, fünfzehn Monate später in die Berufsausbildung einzusteigen. 
Zum Vergleich: Die aktuelle junge Generation will – wenn man den jüngsten Umfragen glauben darf – nicht so gerne zum Militärdienst, auch nicht angesichts der mit Händen zu greifenden Bedrohung durch Putin.
Nach der Initiative „Demokratische Stimme der Jugend“ sei die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht vollends ungerecht, weil sie allein die jüngere Generation betreffe, und es dürfe ohne die Beteiligung der Jugend keine Entscheidung über eine neue Wehrpflicht geben. Jede Generation hatte und hat ihre eigenen Rucksäcke zu schultern.

Fazit
Pauschalierungen wie die des Herrn Fratzscher sind schwierig, man sollte sich schon die Mühe machen, sich die Leistungsfähigkeit einzelner Gruppen anzuschauen, insbesondere derjenigen, denen große Vermögen früherer Generationen leistungslos und bei verhältnismäßig geringer Steuerlast oder gleich ganz steuerfrei zugewachsen sind.
Generationen­gerechtigkeit ist ein wichtiges Ziel in der politischen Diskussion und Entscheidungsfindung. Voraussetzung dafür ist, dass alle Fakten auf den Tisch kommen und die Partikularinteressen einzelner Lobbygruppen als solche gesehen und eingeordnet werden.
Rentenbeiträge sind keine Steuern. Damit sollten sie eigentlich auch nur für die Rente eingesetzt werden und nicht für allgemeine Zwecke. Dennoch greift der Bund seit Jahrzehnten auf Mittel der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu. Die absehbare Schieflage des Rentensystem ignoriert auch die neue Bundesregierung standhaft.

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